07.10.2015 13:48
Vor 25 Jahren begann die Treuhandanstalt mit der Privatisierung. Von 1990 bis Ende 1994 bekamen fast 14.000 Firmen neue Eigentümer. "Freie Presse" beschreibt den Umbau großer Kombinatsbetriebe der Region zu einer mittelständischen Industriestruktur. Folge 8: VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik (B&S)
Von Jan-Dirk Franke
erschienen am 07.10.2015
Markneukirchen. Besucher führt Gerhard A. Meinl gern zuerst in die Instrumenten-Fertigung der Buffet Group Deutschland im Markneukirchener Gewerbegebiet. Dorthin also, wo jedes Stück seinen Anfang nimmt. Wo Messingbleche zugeschnitten und geformt, wo lautstark gehämmert, gelötet und am Ende mit ganzem Körpereinsatz poliert wird. In aufwendiger, teils archaisch anmutender Handarbeit entstehen hier Blechblasinstrumente - von der Trompete bis zur Kontrabasstuba. Sicher wäre es möglich, die Fertigung stärker zu automatisieren. Doch die Produkte wären nicht dieselben. Die handgefertigten Instrumente würden sich von ihnen deutlich unterscheiden. "In der Haptik und im Klang", sagt Meinl. Letzteres erklärt er an Richard Wagners Oper "Siegfried": "Das Horn spielt hinten tief im Wald, man hört es leise. Es muss jedoch so klingen, als würde es schmettern." Damit der Musiker diese Nuancen in den Obertönen darstellen kann, brauche er ein Instrument, bei dem das Blech, aus dem das Schallstück gearbeitet ist, keine durchgängig einheitliche Stärke hat, sondern nach vorn hin dünner wird, erläutert Meinl. Und so ist das bei den Hörnern aus dem Vogtland.
"Der Schallstückbau, so wie wir ihn hier betreiben, ist einmalig in der Welt. In dieser Größe gibt es das sonst nicht mehr", ist sich Meinl sicher. Es gehört viel Geschick und Können dazu, um zu wissen, wie weit ein Teil gehämmert werden muss oder wie lange es im Glühofen behandelt werden darf, wenn überhaupt. "Wenn es zu lange glüht, klingt das Instrument später matschig", meint Meinl.
Das "große handwerkliche Know-how" war ein Grund, weshalb der 58-jährige Unternehmer aus Geretsried bei München 1991 den früheren VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik von der Treuhand kaufte. Ein anderer war, die Zukunft der eigenen Firma zu sichern. "Es war die Chance, größer zu werden, um im globaler werdenden Wettbewerb mitzuhalten", so Meinl.
Es ist eine Erfolgsgeschichte geworden, die seit gut drei Jahren der französische Musikinstrumentenhersteller Buffet Group fortführt. Meinl ist dort Gesellschafter, sitzt im Aufsichtsrat und berät die Firma. So ist er nach wie vor regelmäßig in Markneukirchen anzutreffen.
Er kennt sich in dem Geschäft bestens aus. Die Vorfahren stammten aus dem unweit von Markneukirchen gelegenen Graslitz (Kraslice) in Tschechien, wo Johann Langhammer 1810 eine Firma zur Herstellung von Metallblasinstrumenten gründete. Nach Krieg und Vertreibung nahm die Familie Meinl die Fertigung in Geretsried wieder auf. Gerhard A. Meinl trat nach dem Jurastudium in den elterlichen Betrieb ein, wo er noch eine Ausbildung zum Metallblasinstrumentenmacher absolvierte. Den Betrieb im Vogtland kannte er bereits von Messen und Besuchen, als er sich zusammen mit einer Beteiligungskapitalgesellschaft zum Kauf entschied.
Doch der Neustart war holprig. Der Betrieb war kleinteilig strukturiert, hatte 27 Werksteile. Die Fertigungstiefe war dagegen groß. Sogar Instrumentenkoffer seien hergestellt worden, meint Meinl. Auch eine eigene Gießerei existierte.
Der Unternehmer aus Bayern fand gute Produkte vor, "aber auch welche, die man einstellen musste". Zu schaffen gemacht haben ihm jedoch ganz andere Dinge. "Es gab Probleme, die ich mir hätte nicht vorstellen können", erinnert sich Meinl. Für bestimmte Gebäude, die der Betrieb nutzte, existierten Vorkaufsrechte. "Die Rechtsnachfolge ging aus den Firmenpapieren aber nicht hervor", sagt er. Auch andere Verträge fehlten in den Unterlagen. "Wir wussten nicht einmal, wie viel an welche Kunden geliefert wurde."
Schnell wird klar, dass die Firma wegen der Restitutionsansprüche um einen Neubau nicht herumkommt. Meinl hatte jedoch Mühe, das Geld aufzutreiben. Bei Banken, in denen er vorstellig wurde, hörte er immer wieder einen Satz: "Wir haben genug Risiko in Ostdeutschland aufgeladen, wir machen erst mal Pause." Doch Meinl hatte Glück. Schmidt-Bank und Sachsen-LB finanzierten den Bau. 1993 begannen die Bauarbeiten im neu angelegten Markneukirchener Gewerbegebiet. "Das war sportlich, denn wir waren die ersten, die sich ansiedelten."
Hier produziert B&S auch heute noch - mit gut 200 Mitarbeitern, aber längst nicht mehr allein. "Sukzessive ist die Fläche voll geworden", erinnert sich der frühere Bürgermeister Karl-Heinrich Hoyer. Neben B&S sitzt etwa der E-Gitarrenhersteller Warwick. Heute sagt Hoyer: "Der Einsatz damals hat sich gelohnt. Man könnte seine Freude daran haben, es ist eine Erfolgsstory." Die Privatisierung des Blechblasinstrumentenbaus sei für ihn ein Musterbeispiel der Einheit, meint Hoyer.
Den eigenen Betrieb in Geretsried verkleinerte Meinl zugunsten des Standortes im Vogtland, er reduzierte die Belegschaft in Bayern von 50 auf 20 Mitarbeiter, die sich fortan nur noch mit Einzelanfertigungen befassten. Heute befindet sich zudem der Showroom in Geretsried, in dem Kunden alle Produkte in die Hand nehmen können. In Markneukirchen indes schlägt das produktive Herz der B&S. Zwischen 1000 und 1500 Instrumente werden hier jeden Monat gefertigt. Allein die Tuba wird in 52 Modellvarianten angeboten. Zum Portfolio gehören zudem Trompeten, Kornette, Wald- ,Flügel-, Alt-. Tenor- und Waldhörner, Posaunen und Kontrabasstuben. Ein Drittel der Produktion ist für den heimischen Markt bestimmt, der Rest ist Auslandsgeschäft. Japan und die USA sind die wichtigsten Märkte. So spielen die New Yorker und Wiener Philharmoniker auf Blechblasinstrumenten aus Markneukirchen. "Das Geschäft läuft", so Meinl.
Dass er 2012 das Kaufangebot der Buffet Group angenommen hat, bereut er nicht. Die Konsolidierung der Branche sei in den letzten Jahren weitergegangen. Meinl ist überzeugt, dass nur große Firmen und ganz kleine, die in Nischenmärkten tätig sind, eine Chance haben. Die mittelgroßen Familienbetriebe, die Vielfalt gebracht haben, würden zunehmend verschwinden. Die Buffet Group sei mit einem weltweiten Vertriebsnetz und einem Komplettangebot von Blech- und Holzblasinstrumenten dabei gut aufgestellt.
Zwei Werke unter einem Dach
Die 1953 gegründete Blechblas- und Signal-Instrumentenfabrik gehörte neben den Klingenthaler Harmonikawerken und dem Musikinstrumentenbau Markneukirchen (Musima) zu DDR-Zeiten als einer von 17 volkseigenen Betrieben zum Kombinat für Musikinstrumente. Die historischen Wurzeln reichen aber weiter zurück. 1891 gab es ein Werk, das später unter dem Namen Deutsche Signal-Instrumenten-Fabrik firmierte. Die Tradition der Blechblasinstrumentenfertigung in Markneukirchen begann ein Jahrhundert zuvor: 1755 eröffnete Isaak Eschenbach eine Werkstatt für Blechblasinstrumente.
Die "Blechblas" ist die einzige dauerhaft erfolgreiche VEB-Privatisierung im Vogtland. Der Streich- und Zupfinstrumentenhersteller Musima wurde zwar 1992 verkauft, ging aber fünf Jahre später in Konkurs. Für das Hauptwerk wurde eine Lösung gefunden, doch auch diese hielt nicht. 2003 war Musima erneut pleite und wurde endgültig geschlossen. Aus den Harmonikawerken ist die heutige Harmona Akkordeon GmbH hervorgegangen, privatisiert wurde 1992 nur die Akkordeonfertigung. Die älteste Akkordeonfabrik der Welt geriet jüngst in finanzielle Schieflage und musste Anfang 2015 Insolvenz anmelden. Die Produktion läuft derzeit, ebenso die Suche nach einem neuen Investor.
Als Gerhard A. Meinl 1991 die "Blechblas", wie sie im Volksmund heißt, erwarb, standen 680 Mitarbeiter auf der Lohnliste, allerdings waren 280 auf Kurzarbeit Null gesetzt. Heute sind gut 200 Mitarbeiter beschäftigt. Der Betrieb ist einer von weltweit zwei Musikinstrumentenherstellern, der die volle Bandbreite von Blechblasinstrumenten produziert. Angeboten werden die Produkte unter den Marken B&S, Melton Meinl Weston, Hans Hoyer und J. Scherzer. 2012 übernahm der französische Musikinstrumentenbauer Buffet Group die B&S. Buffet betreibt in Markneukirchen neben der "Blechblas" ein zweites Werk, in dem Holzblasinstrumente (Klarinetten, Saxofone) hergestellt werden. Insgesamt beschäftigt Buffet hier 360 Mitarbeiter.
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